Gemeinschaftsgefrieranlagen in der Region zwischen Weser und Hunte
Einführung
Vor einigen Jahren stieß ich mehr oder weniger zufällig auf das Thema Gemeinschaftsgefrieranlagen. Im Jahr 2007 bereitete ich eine Ausstellung über Ernährung im Wandel der Zeit für das Kreismuseum Syke im Landkreis Diepholz vor, als mich jemand auf das Kalthaus Blenhorst (Landkreis Nienburg) aufmerksam machte. Weil ich neugierig geworden war, nahm ich Kontakt mit den Betreibern auf.
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Die Anlage in Blenhorst sollte bald darauf schließen. Auch im Landkreis Diepholz konnte ich noch fündig werden. Eines befand sich gerade im Abbau, ein anderes war nur noch eine Ruine. Ich hatte bis dahin nie etwas über solche Einrichtungen gehört. Dabei gab es diese Gemeinschaftseinrichtungen im ganzen Land. Sie waren ein Phänomen der 1950 und 1960er Jahre und "verschwanden" dann in den 1970er Jahren, d.h. die Anlagen in den Gebäuden wurden abgebaut. Nur wenige schafften den Sprung ins 21. Jahrhundert. Aus dem anfänglichen Interesse ist schließlich eine Recherche in Archiven und in alten Zeitungen geworden. Zeitzeugen konnten etliches Material beisteuern.
Kürzlich habe ich "meine" Kalthäuser auch im musealen Sammelprojekt Dinge – Exposé am Wegesrand als Inventar aufgenommen. Ein guter Anlass, hier auf dieser Webseite so nach und nach einige Kapitel oder auch nur Abschnitte aus meinem Aufsatz online zu veröffentlichen. Als Print wurde der Text 2011 im Sammelband "Materialien zur Alltagsgeschichte, Hausforschung und Kultur im Landkreis Diepholz und benachbarten Regionen" veröffentlicht, herausgegeben vom Kreismusem Syke.
Hier folgt als Teil 1 der Kalthäuser die Einführung. Siehe auch die Liste Kalthäuser im Landkreis Diepholz abgelegt unter Materialien / Text / 005
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Einleitung (1)
Gemeinschaftsgefrierhäuser waren ein Phänomen in der Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders. Die gemeinschaftlich genutzten Gefrieranlagen, mancherorts auch Kalthäuser genannt, kamen Anfang der 1950er Jahre auf. Die erste Anlage in Deutschland wurde 1951 in Schussenried im Allgäu eröffnet. Im Jahr 1954 eröffneten in Brinkum, Magelsen, Mehringen, Sudweyhe die ersten Anlagen im Gebiet des heutigen Landkreises Diepholz. Auch in Harpstedt, das damals zum Altkreis Grafschaft Hoya gehörte, war man gleich an der neuen Technik interessiert. In den nachfolgenden Jahren bildeten sich immer mehr Gemeinschaften, verstreut über den Landkreis. Neugründungen gab es noch bis Anfang der 1960er Jahre, als gewissermaßen eine Art Hochphase erreicht war. Viele Gemeinschaftsanlagen funktionierten bis in die 1970er Jahre hinein. Etliche konnten den Betrieb sogar bis in die 1980er Jahre fortführen. In den 1990er Jahren gab es immerhin noch vereinzelte Gemeinschaften. Ganz wenige schafften den Sprung ins 21. Jahrhundert und konnten 50jähriges Jubiläum feiern. Nachdem das Kalthaus in Schweringhausen zum 30.09.2010 aufgelöst wurde, gibt es nach meiner Kenntnis jetzt nur noch die Kalthaus-Genossenschaft Holzhausen in der Samtgemeinde Kirchdorf. Dort besteht ungebrochen ein großes Interesse an der Gefrieranlage, die Gefrierfächer sind gut belegt.
Bei Nachforschungen zum Ausstellungsprojekt „Ernährung im Wandel der Zeit“, durchgeführt vom Kreismuseum Syke zusammen mit der Volkshochschule Diepholz 2006-2008, besuchte ich im Sommer 2007 das oben genannte Gefrierhaus in Holzhausen (Samtgemeinde Kirchdorf) und die damals noch bestehenden Gefrieranlagen in Blenhorst (Landkreis Nienburg), Hallstedt (Bassum), Schweringhausen und die gerade aufgelöste Kalthausgenossenschaft in Groß Lessen. Auch die Ruine mit den Überbleibseln des bereits 1968 aufgegebenen Kalthauses Graue konnte ich noch fotografieren. Die Gefrierfächer aus Holz sowie Teile der elektrischen Anlage waren noch immer vorhanden. Im Oktober 2007 zeigte ich diese Fotodokumentation bei der Tagung „Geschichte in der Region“ im Kreismuseum Syke. Seitdem kamen nach und nach weitere Hinweise und Materialien zur Geschichte der Kalthäuser in der Region zwischen Weser und Hunte zusammen. Seit August 2010 können die bisherigen Forschungsergebnisse in einer tabellarischen Übersicht, nach Orten geordnet, auf meiner Internetseite eingesehen werden. Neue Hinweise und fehlende Daten zu Gemeinschaften können dort nachgetragen werden.
Im Folgenden werden zunächst der Forschungsgegenstand und die Quellenlage besprochen. Danach wird kurz auf die Vorgeschichte von Vorratshaltung allgemein und auf die Geschichte von Kühlung und künstliche Kälte eingegangen. Die Geschichte der Kältetechnik muss vernachlässigt werden, denn das ist fachlich gesehen „Glatteis“, auf das ich mich hier nicht begeben möchte. Es folgt eine knappe Beschreibung der Lebenssituation Anfang der 1950er Jahre, da mit dieser besonderen Ausgangslage die Geschichte der Gefriergemeinschaften eng verknüpft ist. Anschließend werden Zeitungsberichte als Quellen herangezogen, sie begleiten und kommentieren die Entwicklung bis heute. Sie bieten sich für den Einstieg und einen ersten Abriss der Geschichte geradezu an. Danach gilt das Augenmerk den einzelnen Gefriergemeinschaften, die bisher für die Region zwischen Weser und Hunte für die Sammlung Geschichte der Kalthäuser dokumentiert sind, aufgeteilt nach Umfang bzw. Vollständigkeit oder auch Aussagekraft der gesammelten Dokumente.
Anmerkung
(1) Printversion siehe Elsbeth Kautz: Kalthäuser. Gemeinschaftsgefrieranlagen in der Region zwischen Weser und Hunte. Materialien zur Alltagsgeschichte, Hausforschung und Kultur im Landkreis Diepholz und benachbarten Regionen. Herausgeber Kreismuseum Syke 2011, S. 75-140, Einleitung S. 78.