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04.09.2024 14:39

Laien-Layer-Leidenschaft (Konzept)

Expertokratie im Hinterkopf

Von Laien zu sprechen, heißt die Expertokratie im Hinterkopf zu haben. Den Begriff habe ich bei Ivan Illich aufgeschnappt. Was ist gemeint? „Kratie“ (gr. kratos) verweist auf die Herrschaft einer Gruppe. Experten sind wünschenswert und notwendig, wenn man sie braucht, der Schuh drückt, der Motor bockt. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker! Aber: Entscheiden Sie selbst. Bei Ivan Illich (1) wurde ich hellhörig, als ich Ende der 1990er Jahre bei seinen Vorlesungen in Bremen war und er über die Expertokratie sprach. Die Tiefendimension seiner Kritik an der Expertokratie geht mir heute erst auf. Aber die Saat wurde damals gelegt. Und ich gehe davon aus, dass jedem immer irgendwann das Licht aufgehen kann. Die Öffnung nach oben hin zum Geist ist jedem gegeben. Human muss den freien Zugang nur nutzen. Wir sind sozusagen dauernd verbunden und online. Wem das momentan zu kryptisch ist, der wird es irgendwann verstehen. Der Groschen fällt auch bei mir meist erst später.

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Selbstwirksamkeit

Gerade heute werden wir von unserer Selbstwirksamkeit (2) und den damit einhergehenden Möglichkeiten immer weiter abgeschnürt. Im nächsten Schritt werden wir so weit von unseren Möglichkeiten entfernt sein, dass in der Mehrheit nicht mehr verstanden werden wird, um was es bei einem solchen Verlust eigentlich geht. Schon jetzt ruft der bloße Hinweis auf einen Verlust am „Selbst“ durch die Macht der Experten bösartige Zurückweisung hervor. Und das sind nicht immer nur die Anderen: so verhalten wir uns alle. Wir sind (und wurden) konditioniert. Es gilt also die eigene Konditionierung zu durchschauen und das Eigene selbst neu zu entdecken und in seiner Wirksamkeit einzuüben.

Exkurs: Zwingen

Darf man Andere zur Gefolgschaft zwingen? Nein. Das gilt es zu bedenken. Ich kann einen anderen direkt zwingen, oder mich anderen anschließen und andere dadurch zur Unterwerfung indirekt zwingen. Mitläufer. Die Freiwilligkeit des Mitmachens hängt also davon ab, ob ich überhaupt eine Chance zum Nichtmitmachen und Neinsagen verwirklichen kann.

Konditionierung

Die politische Stoßrichtung geht von mehr Überwachung nahtlos über in mehr Beschneidung. Am Schluss wird sich keine(r) mehr getrauen auch nur einen Gedanken noch selbstständig hervorkommen zu lassen, geschweige denn zu äußern, zumal in der Öffentlichkeit. Hier setzt mein Projekt als Innovation an: Von den staatlich gesteuerten Institutionen werden Kunst und Kultur zwar gefördert, aber nur um „Besucher“ noch mehr in die Hauptströmung von zugelassener Interpretation einzubinden. Das Laien-Layer-Konzept bietet den Teilnehmern im freien musealen Online-Offline Sammelprojekt Dinge – Exposé am Wegesrand die Möglichkeit selbst direkt ihr eigenes Objekt als Exponat vorzustellen ohne pädagogische Betreuung. Kein Rotstift. Zugegeben: Auch hier durchläuft die Publikation dennoch eine Redaktion. Das ist rechtlich aber nicht anders möglich. Dennoch kann jeder Teilnehmer selbst entscheiden, wie er oder sie das eigene Exponat weiterverwendet, unabhängig von meinem Dinge – Exposé Sammelprojekt.

Ernten

Ein, zwei neue Triebe am Baum der Erkenntnis. Die Ernte wird dann Eva einfahren und Adam wird sich bedanken. Ob dann die Vertreibung aus dem Paradies, der gepamperten Vollversorgung durch den Expertenstaat, droht? Mal sehen. Heute findet die Inquisition in aller Öffentlichkeit statt, es wird zensiert, ausgegrenzt, notfalls nach rechts abgedrängt. Deshalb Vorsorge: Selbstanbau – Selbstversorgung – eigene Ernte – Selbstinterpretation.

Laien-Exposé-Kunstfreiheit

Die Kunst (das Ding und sein Exposé) ist frei und darf nicht zensiert werden. Jeder Laie bringt seine Innovation (neuer Trieb am Stamm der Geschichte) hervor und stellt sie unter eigener Regie offen aus. Das Vermehren erfolgt analog durch Addition: alle machen etwas Eigenes und nicht einer alles. Nicht einer schreibt die Geschichte für alle, sondern Teilnehmerinnen und „Mitmacher“ erzählen je ihre eigenen Versionen und Perspektiven auf ihre Dinge. Jeder und jede hat das Recht auf die eigene Geschichte zu den eigenen Dingen. Wer wollte uns das verbieten? Jede/r ist als Laie ein Layer – eine Schicht in der Geschichte. Das Publikum wird zum Akteur. Auf die Synergieeffekte bin ich gespannt. Bellum Gallicum – da gab es doch so ein Dorf, zwei Helden und einen Zaubertrank. Wem folgen Sie Caesar oder Asterix?

Leidenschaft

Historiker sind als Professionelle keinesfalls obsolet. Es ist nicht allen vergönnt, weite geschichtliche Räume zu überblicken, Quellen einzuordnen und zu verstehen, Strukturen zu erkennen und dann auch noch spannend und verständlich zusammenzufassen. Als Beispiel möchte ich auf Fernand Braudel verweisen. Seine 3 Bände zur Sozialgeschichte des 15. – 18. Jahrhunderts lesen sich wie ein Wirtschaftskrimi und Vorlauf zur aktuellen Situation. Und ich denke, dass ich das erste heute, mit den Erfahrungen der letzten Jahre durch das reale Leben richtig würdigen kann. Nichtsdestotrotz sollte uns der große Wurf nicht davon abhalten, selbst einen Wurf zu wagen. Schließlich stecken wir in der Misere und Leiden schafft. D.h. wir müssen uns selbst befreien. Bleibt anzumerken, dass human (3) im Deutschen sagen kann: Dich kann ich leiden. (Auf diese sprachliche Besonderheit verwies Ivan Illich in seinen Bremer Vorlesungen wiederholt.)


Anmerkungen

(1) Selbstermächtigung (Empowerment) klingt brachial und Selbstverantwortung zu pädagogisch.

(2) Ivan Illich zum Einstieg https://www.convivial.de/illich-archiv/wer-war-ivan-illich

(3) Ich verwende human als Erweiterung im Sinne von man, auch um der Vergenderung zu entkommen. Eventuell würde sich noch der Plural anbieten humen oder humans. Beispiel: Wir humans sind Akteure und keine Eigenschaften von irgendwelchen bio-psycho-soziologischen Entitäten. Vergleiche Ivan Illich: Thematische Anmerkungen, 4 „The Human“, in: Genus, S. 129.


Literaturtipp

Ivan Illich: Entschulung der Gesellschaft. Eine Streitschrift. München 1995. Englische Originalausgabe 1971, 1972.

Ivan Illich: Die Nemesis der Medizin. Die Kritik der Medialisierung des Lebens. München 1995. Englische Originalausgabe 1976 

Ivan Illich: Genus. Zu einer historischen Kritik der Gleichheit. München 1995. Englische Originalausgabe 1982.

Fernand Braudel: Sozialgeschichte des 15.–18. Jahrhunderts. München 1985 (3 Bände). Band 1: Der Alltag. 1985 / Band 2: Der Handel, 1986 / Band 3: Aufbruch zur Weltwirtschaft. 1986.